Wenn sich der Boden auftut - Besuch bei der Notfallseelsorge der Feuerwache Bochum
„Übern Tellerrand – Kirche & Co.“: Reges Interesse fand jetzt die Exkursion zur Notfallseelsorge der Feuerwehr Bochum/Herne. EvH-Seelsorgerin Brigitta Haberland hatte EvH-Studierende jedweder Fachrichtung und Fachsemester dazu eingeladen. Bereits nach kurzer Zeit waren alle 30 Plätze ausgebucht.
Schon der lange Fußweg bis hin zum Seminarraum ließ die Teilnehmer_innen erahnen, wie weitläufig das Gelände der Hauptfeuerwehrwache Bochum ist und welch´ riesiger Rettungsapparat dort vorgehalten wird. Vom Notruf bis zum Einsatz: Im Seminarraum schließlich erzählte der Leiter der Notfallseelsorge Bochum, Pfarrer Hajo Witte,- hin und wieder unterbrochen durch knisternde Durchsagen für die Einsatzkräfte - kurzweilig von den Anfängen der Notfallseelsorge, ihren Aufgaben und den Abläufen.
24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr
Seelsorge in Notfällen: Das heißt 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr Einsatzbereitschaft. Sie umfasst Krisenintervention und psychosoziale Begleitung von Menschen in extremen Lebenslagen und nach dramatischen Ereignissen. Sprich: Tod, Unfälle mit Todesfolge oder schwerste Verletzungen. Ursprünglich angedockt an das gemeindliche Pfarramt, das von seinem Wesen her vertraut ist mit der Begleitung von Sterbenden und Trauernden und in den alten Bundesländern flächendeckend vertreten war, entwickelte sich die Notfallseelsorge langsam zum eigenständigen therapeutisch hochqualifizierten Feld kirchlicher Seelsorgearbeit mit einem spezialisierten Aus-und Fortbildungswesen weiter.
Heute ist sie fester Teil der Rettungskette. Ein großes Netz von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Notfallseelsorgern arbeitet eng verbunden mit Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. Notfallseelsorge geschieht im Auftrag der Kirchen, das heißt, Ausbildungs- und Fortbildungsstrukturen sowie die hauptamtlichen Notfallseelsorger werden überwiegend kirchlich finanziert. Auch ist Notfallseelsorge grundsätzlich ökumenisch ausgerichtet, ihr Einsatz klar organisiert und strukturiert.
Begleitung in akuten Krisensituationen
Ob ein Notfallseelsorger an einem Unfallort hinzugezogen wird, um Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene und Zeugen in akuten Krisensituationen zu begleiten und zu stützen, darüber entscheiden Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr. Werden sie hinzugerufen, stabilisieren Notfallseelsorgende die Betroffenen und unterstützen sie, etwa bei der Aktivierung ihres sozialen Netzes, und bieten ihnen, sofern sie es wünschen, auch religiöse Begleitung an. Denn oftmals helfen religiöse oder nichtreligiöse Texte und Rituale Opfern und Angehörigen, ihre Sprachlosigkeit und Erstarrung nach einem Extrem-Ereignis zu überwinden.
Gegenüber früheren Zeiten, in denen bei einem Todesfall oder Unfall soziale Netzwerke meist schnell aktivierbar waren, ist das heute oft nicht der Fall. Viele Angehörige leben weit voneinander entfernt, und auch das Verhältnis zur Nachbarschaft ist besonders in den Städten eher distanziert. Notfallseelsorge überbrückt diese Lücke, bis andere Unterstützer_innen aus dem engeren Umfeld der Betroffenen die Begleitung übernehmen können. Falls diese Hilfe ausbleibt, holen die Seelsorger professionelle Unterstützer wie den Psychosozialen Dienst der Stadt oder Institutionen ins Boot.
Einsatz der Angehörigen ist überlebenswichtig
Nach Wittes Schilderung führten zwei junge Rettungsassistenten vor, wie sie am Einsatzort vorgehen würden. Es wurde schnell deutlich, wie überlebenswichtig die Herzrhythmusmassage etwa durch Angehörige bis zum Eintreffen der Rettungskräfte ist, aber auch welche Abläufe bei einem Einsatz bei akuter Lebensgefahr und Einsatz der Herzmassage erforderlich sind. Auch der Umgang mit den ebenfalls emotional oft völlig überforderten Angehörigen rückte in den Blick. Sie werden, sofern ihre Verfassung und die Situation es erlaubt, einbezogen. Priorität hat aber stets der in Lebensgefahr befindliche Mensch.
Wie belastend Einsätze auch für die Rettungskräfte sein können, schilderte Herr B., langjähriger Rettungsassistent. Doch Gespräche über emotionale Betroffenheit wurden in der Männerwelt des Feuerwehr- und Rettungsdienstes wie in vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen lange als Schwäche ausgelegt und entsprechend tabuisiert. Wer früher persönliche Belastungen ansprechen wollte, musste sich schon mal Sprüche anhören wie „Dem müssen mal Haare unter den Armen wachsen“. Heute jedoch sei das erfreulicherweise anders. Der kollegiale Austausch über die persönliche Betroffenheit nach einem Einsatz unter den Feuerwehrkräften sei inzwischen unter den Kollegen akzeptiert. Es sei aber angesichts des Männerbildes in dieser Berufsgruppe ein mühsamer Prozess gewesen.
Männerbild hat sich gewandelt
Auch heute noch ist es für Einsatzkräfte schwer, wenn das mit dem Beruf verbundene Selbstbild „Retter“ durch private oder berufliche Überlastungssituationen zu zerbrechen droht und der „Retter“ sich in der Rolle des „Opfers“ und „Hilfsbedürftigen“ wiederfindet. Noch immer übersähen viele „Retter“ warnende Belastungssymptome an sich selbst. Vielfach hätten Angehörige, wie Ehefrauen oder Kinder, hier die besseren Sensoren.
Die Teilnehmer_innen wurden nicht müde, Fragen zu stellen und eigene Erlebnisse in Grenzsituationen zu schildern, so dass die Zeit wie im Flug verging. So danken wir Notfallseelsorger Pfarrer Hajo Witte und seinem Kollegen der Notfallseelsorge und den Männern des Rettungsdienstes und der Feuerwehr herzlich für den höchst informativen Einblick in ihre Arbeit.
Brigitta Haberland