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Dr. Regina Wiedemann über
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Dr. Regina Wiedemann über "Breast Care Nurses"

Dr. Regina Wiedemann (l.) war zu Gast in der Lehrveranstaltung von Prof. Dr. Karin Tiesmeyer (r.). Foto: Gottschick

Dr. Regina Wiedemann von der Universität Witten/Herdecke war am 30. November 2017 in der EvH-Lehrveranstaltung „Neue Pflegekonzepte und Assessmentverfahren“ im Bachelorstudiengang Pflegewissenschaft zu Gast, die derzeit von Prof. Dr. Karin Tiesmeyer angeboten wird. Wiedemann stellte Auszüge aus ihrer Promotion zum Thema Brustprothetische Versorgung von Frauen nach Mastektomie in Deutschland mit dem Fokus pflegerischer Versorgung durch „Breast Care Nurses“ vor. Dabei ging es um die pflegerische Begleitung und Beratung von Frauen mit Brustkrebs nach einer Brustamputation. Ein Thema, das in Zusammenhang mit hochschulischer Weiterbildung von Pflegenden steht und neue Berufsperspektiven eröffnet.

Brustkrebs häufigste Krebserkrankung bei Frauen

Regina Wiedemann hatte aktuelle Zahlen und Fakten parat. So erfuhren die Studierenden, dass Brustkrebs die häufigste weibliche Krebserkrankung ist. Jährlich erkranken in Deutschland rund 71 600 Frauen – die meisten von ihnen werden mittlerweile an Brustzentren behandelt. Die Fünfjahres-Überlebensrate liegt bei 88 Prozent. 70 Prozent der Frauen können heute brusterhaltend operiert werden, in ca. 30 Prozent wird die Brust entfernt. Von den Frauen nach Brustentfernung tragen ca. 60 bis 70 Prozent vorübergehend oder auf Dauer eine externe Brustprothese, die anderen lassen sich operativ mittels Rekonstruktion die Brust wieder aufbauen.

Wie Frauen diese brustprothetische Versorgung und die Nutzung einer externen Brustprothese erleben, wurde in Deutschland bisher nicht untersucht. In ihrer empirischen Studie hat Regina Wiedemann deutschlandweit in vier Brustzentren insgesamt 40 Interviews geführt - davon 20 mit an Brustkrebs erkrankten Frauen, die nach ihrer Brustentfernung eine externe Brustprothese tragen -, jeweils acht Interviews mit spezialisiert Pflegenden und Sanitätshausfachangestellten sowie vier Interviews mit den Herstellern von Brustprothesen. Alle Interviews wurden qualitativ ausgewertet und zeigen im Ergebnis ein Zwei-Phasen Modell vor dem Hintergrund des deutschen Gesundheitssystems.

Phase 1: Erleben von Schock und Krise

Die brustprothetische Versorgung nach Mastektomie steht für die Frauen hinter der Brustkrebserkrankung und dem Brustverlust zurück. Frauen stehen nach der Diagnose unter Schock. Die Konfrontation mit dem Brustverlust, wenn nach der OP der Verband entfernt wird und sie sich das erste Mal im Spiegel sehen, erleben sie als weiteren Schock. Eine Erstversorgung mit der Brustprothese erfolgt bereits im Krankenhaus durch Sanitätsfachangestellte extern kooperierender Sanitätshäuser. Pflegende in Deutschland sehen – anders als im internationalen Kontext – die Anpassung einer Brustprothese nicht als ihre Aufgabe an, sie stellen lediglich den Kontakt zum Sanitätshaus her.

Betroffene Frauen sind froh darüber, früh irgendetwas zu bekommen. „Hauptsache versorgt“ - damit die erlebte „EINseitigkeit“, das Gefühl, nicht „ganz“, nicht „normal“ oder „schäbig“ zu sein, nicht nach außen hin sichtbar wird. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Frauen in dieser Phase einer intensiveren Begleitung bedürfen, um die Situation zu verarbeiten. Es braucht eine umfassende emotionale und informative Unterstützung, um individuell angemessene und bedarfsgerechte Lösung zu finden.

Phase 2: Streben nach Normalität

Phase 2 beschreibt das Leben mit der Krebserkrankung, dem Brustverlust und dem psychosozialen Einfluss der Prothese auf das Leben der Frauen. Die Körperbild-Veränderungen durch den Brustverlust können sie kaum für sich verarbeiten, gleichzeitig erfahren sie hier keine angemessene Unterstützung.

Im zeitlichen Verlauf wird deutlich, wie wichtig die Aufrechterhaltung von Kontrolle in sozialen Situationen, bzw. die eigene Empfindung der Normalität des äußeren Erscheinungsbildes sind. In dieser Phase wird der Prozess der brustprothetischen Versorgung bedeutsamer. Eine Brustprothese ermöglicht ihnen eine Sicherheit nach „außen“, weil die „EINseitigkeit“ dadurch nicht sichtbar wird.

Unzureichende Information und mangelnde Wahlmöglichkeit

Eine brustprothetische Versorgung kann gelingen, wenn Frauen Informationen über Prothesen, deren Material, unterschiedliche Modelle und Typen erhalten, ihnen somit Alternativen aufgezeigt werden, unter denen sie wählen können. Allerdings zeigt sich auch in Deutschland das häufig auftretende Problem der unzureichenden Information und mangelnden Wahlmöglichkeit von Frauen in der brustprothetischen Versorgung. Die Entscheidung darüber, mit welcher Prothese und welchem BH versorgt wird, treffen Sanitätshausfachangestellte abhängig vom Sortiment im Warenlager des Sanitätsfachgeschäftes sowie von ihrer Erfahrung in der brustprothetischen Versorgung eigenverantwortlich.

Im Anschluss an die Ergebnispräsentation wurde gemeinsam mit den Studierenden über neue Aufgaben von Pflegenden im Sinne des Advanced Nursing Practice (ANP) diskutiert. Insgesamt könnten Pflegende wichtige Unterstützung leisten, wenn sie diese Aufgabe der Beratung und Unterstützung bei der Verarbeitung des veränderten Leib-Erlebens für sich annähmen und diese Aufgabe in der gesundheitlichen Versorgung ebenfalls durch Kostenträger und Leistungserbringer als bedeutsam anerkannt und entsprechend vergütet würde.

"Breast Care Nurses" haben sich spezialisiert

International hat sich hierfür die Begleitung durch sogenannte „Breast Care Nurses“ durchgesetzt: Pflege-Expertinnen, die sich auf die Begleitung, Beratung und Unterstützung der Frauen spezialisiert haben und diese sowohl in der Klinik als auch in der häuslichen Versorgung wahrnehmen. Für eine bedarfsgerechte Versorgung wäre es wichtig, gut qualifizierte Pflegende hierfür auszubilden, die die Komplexität des Themas (Körperbild-Veränderung, Leib-Erleben, Auswirkung auf soziale und personale Identität, Sexualität und soziale Beziehungen) kennen und Beratung und Unterstützung individuell und auf die persönliche Situation der Frau gestalten.

International erfolgt die Qualifizierung dazu auf Master-Niveau. In Deutschland gibt es bislang Weiterqualifizierungen zur „Breast Care Nurse“, die jedoch in der Zertifizierung von Brustkrebszentren bisher nicht anerkannt wird.

Begleitung und Beratung erkrankter Frauen

Als gemeinsames Fazit sahen alle TeilnehmerInnen den Einsatz und die Anerkennung von spezialisiert Pflegenden, das heißt, Breast Care Nurses auf Masterniveau auch in Deutschland in der psychosozialen Begleitung und Beratung von an Brustkrebs erkrankten Frauen als sinnvoll an. Dazu bedarf es neben der Integration ihrer Aufgaben sowohl in die „S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms“ und in den Erhebungsbogen für die Zertifizierung von Brustkrebszentren vor allem der multiprofessionellen Zusammenarbeit.

 

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